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Legenden und Irrtümer

 

Das Triebwerk und die Reichweite

 

Das A9 war damals nicht das einzigste Projekt zur Reichweitenerhöhung, natürlich versuchte man auch Raketenantriebe zu entwickeln die mehr als den bisherigen Schub erbrachten. Das A4 Triebwerk hatte bekanntlich einen Schub von 25 Tonnen, was im vergleich zu den heutigen Raketentriebwerken gerade zu lächerlich ist. Vergleicht man die Baugröße heutiger Triebwerke mit der des A4 wird das Missverhältnis noch deutlicher. Nun könnte man sich fragen, ob es nicht möglich gewesen wäre aus dem A4 Triebwerk mehr als 25 Tonnen Schub zu holen, dazu muss man sich das Kernstück der Triebwerkes genauer ansehen und sich mit den Gründen vertraut machen, die zu dieser Bauweise führten . Der wichtigste Faktor dürfte wohl die Gastemperatur des verbrannten Treibstoffes sein. Die Gastemperatur ist ein wesentliches Element den Energiegehalt des Treibstoffes in mechanische Arbeit umzusetzen . Grob gesagt, um so heißer das Verbrennungsgas um so höher der Druck in der Brennkammer und um so höher die Austrittsgeschwindigkeit in die Düse . Im falle des A4 Triebwerkes wurde versucht ein möglichst optimales Zusammenspiel der einzelnen Faktoren zu erreichen die Einfluss auf Leistung und Funktionsfähigkeit des Triebwerkes hatten. Diese Faktoren bestehen im einzelnen aus der Dichte und dem Energiegehalt des Treibstoffgemisches, dem Prozess der Verbrennung und die dabei zu erreichende Gasvolumen b.z.w. Drücke und der Austrittsgeschwindigkeit des Gases aus der Düse. Die Verbrennung ist zum einen von der Zeit abhängig in dem der flüssige Treibstoff in einen Gasförmigen zustand übergeht und zum anderen von der zeit der eigentlichen Verbrennung. Die Gesamtverbrennungszeit besteht  ca. aus 2/3 Zündverzugszeit + 1/3 Brennzeit, dis zur gänzlichen Verbrennung des Treibstoffes. Um eine vernünftige Verbrennung zu gewährleisten ergab sich aus Berechnungen und Versuche das in einem weiten Bereich die Verbrennung in der Kammer immer vollständiger wird, je größer das Kammervolumen im Verhältnis zur engsten Querschnittsfläche der Auspuffdüse steht. Durch dieses Verhältnis werden nach oben steigend die Gasaufenthaltszeit beeinflusst und damit auch der Wirkungsgrad und Ausströmgeschwindigkeit größer, was immer anzustreben ist . Allerdings darf andererseits das Kammervolumen nicht zu groß werden, damit die Kühlmöglichkeiten nicht beeinträchtigt werden . Die Gasaufendhaltsdauer im A4 Ofen beträgt ca. 0,002 sec. vom Zeitpunkt der Einspritzung des Treibstoffes bis dieser die Brennkammer verläst. Ein weitere Möglichkeit der Verbrennungsoptimierung ist die Vermischung und Verdampfungszeit des einzuspritzenden Treibstoffes in die Brennkammer zu reduzieren. Der nächste Faktor in der Leistung eines Triebwerkes ist der Motorwirkungsgrad. Bei einem spezifischen Treibstoffverbrauch von 125 Kg/sec. und einer tatsächlichen Austrittsgeschwindigkeit von 2160 m/sec. ergibt sich eine theoretisch Schubkraft von 27500 kg . Die Verbrennung des Brennstoff- Wasser- Sauerstoffgemisches erfolgt mit der Zusammensetzung : O² - ( flüssig )+ 75 % C2H5OH ( Äthylalkohol ) + 25% H2O bei 20 % Brennstoffüberschuss und ergibt pro kg Gemisch einen Energiegehalt von 1600 kcal oder E= 685000 kgm/kg . Die hieraus resultierende theoretische Ausströmgeschwindigkeit ist somit 3660 m/sec. Bei 2160 m/sec. als praktisch mit dem A4 Triebwerk erreichten Wert ergibt sich daraus der nicht gerade vorzügliche innere Motorwirkungsgrad  von 34,9 %. Weiterhin betrug die Verbrennungstemperatur in der Kammer 2550° C, welche sich bis zur Düsenmündung nur auf 1330° C verminderte. Bei diesen Werten betrug der Kammerdruck 17 atü und der Düsenmündungsdruck 0,89 atü. Die hohe Austrittstemperatur ist auf die starken Nachverbrennungen innerhalb der Düse zurückzuführen. Der schlechte Wirkungsgrad ist anderseits durch die Dissoziation bedingt, indem etwa 38 Gewichtsprozent CO2 und 10 Gewichtsprozent H2O dissoziert sind. Daraus lässt sich eine gesamte Heizwerteinbuße von etwa 35% ermitteln . Als Dissoziation wird die Zersetzung von Verbindungen bei hohen Temperaturen in die einfachen Bestandteile bis hin zu den einzelnen Atomen bezeichnet . Diese Zerlegung der Moleküle ist mit einem Verbrauch an wärme Energie verbunden der mit zunehmender Temperatur steigt . Um das Auszugleichen bedarf es der zusätzlichen Zuführung von Treibstoff um den Verlust an Wärmeenergie auszugleichen . Fasst man die einzelnen Merkmale des A4 Triebwerkwerkes zusammen ergibt sich das an diesem bei gleichbleibenden Treibstoff keine Leistungssteigerung ohne wesentliche konstruktive Änderungen am Einspritzsystem und der Brennkammer wie auch dem Kühlsystem möglich gewesen wäre . Dieser Tatsache wurde den Konstrukthören   wohl bereits sehr früh bewusst, so das bereits vor dem Erststart eines A4 mit völlig anderen Einspritzsystemen als dem des 18 Topf Ofens, oder gänzlich anderen Treibstoffen experimentiert wurde. Eine schnelle Leistungssteigerung an der bestehenden Triebwerkstechnologie sah man in der Verwendung von Gasöl und Salpetersäure. Die Mischung Gasöl und Salpetersäure hat einen Energiegehalt von 1880 Kcal/dm³ und damit liegt die theoretische Energiekonzentration um 190 kcal/dm³ niedriger als bei dem verwendeten Alkohol und

Sauerstoffgemisch ( 2070 Kcal/dm³). Die Effektive Ausströmgeschwindigkeit liegt bei gleicher Gewichtsmenge um ca. 200 m/s niedriger. Allerdings besitzt die Mischung Gasöl + Salpetersäure eine höhere Dichte als Alkohol + Sauerstoff . Bei gleicher Brennkammer Größe ermöglicht das einen höheren Massenausstoß als bei gleichem Volumen des Alkohol Sauerstoff- Gemisches. Im Normalfall wird man zu Gunsten der Gasaufendhaltsdauer des Treibstoffes in der Brennkammer nicht unbedingt mehr Treibstoff einpumpen sonder die bessere Verbrennung nutzen um den Motorwirkungsgrat zu steigern . Da aber die Entwicklung einer Brennkammer eigens für eine Treibstoffkombination von Salpetersäure und Gasöl zu aufwendig gewesen wäre ist es nahe liegend das bestehende A4 Triebwerk zu nutzen. Eine einfache Vergleichsberechnung zeigt dass, das A4 Triebwerk bei Verwendung eines Treibstoffgemisches von Alkohol + Sauerstoff und der Einspritzmenge von 125 kg/sec. = ca. 125 cdm/sec. Und eine tatsächliche Massenbeschleunigung im Triebwerk von ca. 2000 m/sec. ein Schub von 25 Tonnen entsteht. Bei Verwendung des gleichen Einspritzvolumens Salpetersäure + Gasölgemisch 125 cdm/sec. sind das ca. 168 kg/sec. und bei der niedrigeren Energiekonzentration von 1880 Kcal/dm3 , eine Massenbeschleunigung auf 1800 m/sec. , eine Schubleistung von 30 Tonnen ! Aus dieser Überlegung heraus begann man 1941 mit Versuche ein A4 A Triebwerk, mit Visol ( Gasöl) und Salbei (Salpetersäure) auf 30 Tonnen Schub zu steigern. Bei den Brennversuchen wurde der Ofendruck bis auf 40 Atü ( 13 bis 14 Atü bei der V2 ) und einer tatsächlichen Ausströmgeschwindigkeit von 2100 m/sec erreicht ( = 35 Tonnen ) . 3000 m/sec. wollten sie erreichen = 50 Tonnen ! Das endsprechende Raketenprojekt wurde A8 genannt und entsprach von seinen Maßen dem des A4 . Das A8 hätte man mit 8330 kg Salpetersäure und 1670 kg Gasöl betankt und sollte bist zu 50 Tonnen Schub haben. Berücksichtig man die genanten Berechnungsbeispiele der Treibstoffe in Schubleistung und wirkungsgrad, wird deutlich das für die erwartete Reichweite eines Zwei-Stufenaggregates mit 180 und 30 Tonnen Schub nur die Verwendung von Salpetersäure und Gasöl in Frage kommen konnte! Wie bereits angedeutet versuchte man wesentliche Verbesserungen am Treibstoffeinspritzsystem vorzunehmen das nebenbei auch die Herstellung der Triebwerke wesentlich vereinfachen sollte . In Dresden an der Technischen Hochschule unter der Leitung von Professor Georg Beck arbeitete man daher an einem revolutionärem Einspritzkonzept für die Brennkammer. Das bisher verwendete Einspritzkonzept bestand aus 18 einzelnen Mischkammern die auf der Brennkammer platziert waren, diese aufwendige Konstruktion sollte gegen eine einzelne 35 cm durchmessende Injektorplatte ersetzt werden . Von der Konstruktion her bestand diese Injektorplatte aus einzelnen übereinander gelegten

Metallringen die in den Zwischenräumen mit schmalen Spalten versehen waren. Durch diese Spalten

( Ringspalten ) sollte der Treibstoff eingespritzt  und vermischt werden . Schon mit den ersten Endwürfen zum zwei- Stufenaggregat wurde als Brennkammer bereits ein Ofen mit einer "Injektorplatte" vorgesehen !

Geplant war für die Großserienherstellung des A4 eine totaler Umstellung auf Alternative Werkstoffe ( z.B. das ersetzen von Alu durch Stahl ) das endsprechende Versuchsmuster Nr. A4 V15. sollte als A4 Baureihe B eine neben Tanks aus Mipolam und eine Turbopumpe aus Stahl, eine Brennkammer mit Injektorplatte beinhalten.  Dieses Muster wurde aber wahrscheinlich nicht realisiert, da auch der Mischdüsenofen nicht zur Serienreife gelangte ! An stelle des Mischdüsenofens wurde der 18 Topfofenkopf, der für die Versuchsmuster aus Alu gefertigt wurde gegen einen aus Stahl ersetzt. Dieser wurde nicht aufgeschraubt , sondern mit dem Ofen- Unterteil verschweißt .

 

Auszug aus der Niederschrift über die Arbeitsgruppenbesprechung der Arbeitsgruppe III Triebwerk, am 28.7.1942 (BAMA)

 

Thema : Entwicklungsstand, Nullserien-Anlauf, Stand der Rohstoffumstellung und Vorbereitung zur Großserie

 

Die Entwicklung des Mischdüsenofens ist noch nicht abgeschlossen. Es wurden bisher 5 Mischdüsenöfen mit 8 verschiedenen Mischdüsen gebrannt. Grundsätzlich hat sich die Brauchbarkeit der Ringmischdüse für den vorgesehenen Zweck erwiesen, jedoch sind bei den bisherigen Versuchen noch Entwicklungspannen durch Schwingungserscheinungen aufgetreten. Die Ursache der Schwingungserscheinungen ist geklärt und soll durch Neukonstruktion einer Düse beseitigt werden. Die Gemischbildung (Ausströmungsgeschwindigkeit) reicht bei den bisherigen Versuchen an die des 18-Topfofens noch nicht heran, kann aber voraussichtlich noch verbessert werden, so das der Ofen auf gleiche Leistung kommt. Für die weitere Entwicklung der Mischdüse wird etwa ein Bedarf von 3 Monaten geschätzt.

 

Weiter heißt es in dem Bericht :

 

Am 1.10.1942 muss Endscheidung über die Ausführung der Mischdüse b.z.w. über eine Weiterführung von 18-Topfgeräten gefällt werden.

 

Offensichtlich wurde das Ziel einen Ofen mit Ringspaltdüse bis zum 1.10.1942 zur Serienreife zu Entwickeln, nicht erreicht. An Stelle des Ringspalt-Mischdüsenkopfes wurde nun am 18 Topf- Mischkopf  die Umstellung auf Stahl durchgeführt und das Verschrauben des Kopfs mit dem Unterteil durch Verschweißen ersetzt, was eine erhebliche Vereinfachung der Herstellung bedeutete. Aus Dokumenten des Bundesarchivs in Freiburg und der TH Dresden  ist zu entnehmen, das diese Brennkammer „Injektor“ als Serien-Brennkammer für die Baureihe „B“ vorgesehen war, aber dann wohl erst 1945 in der Baureihe „C“ ihre Verwirklichung erfahren hätte. Das System der Einspritzung durch eine Injektorplatte wurde noch an der Flugabwehrrakete „Wasserfall“ realisiert. Allerdings hatte man bei diesem Triebwerk ebenfalls Schwingungseffekte die bei einem größeren Triebwerk die Zerstörung der Brennkammer zu folge gehabt hätte .  Daraus ist anzunehmen das bis Kriegsende kein verwendungsfähiges Triebwerk wie es im Entwurf des zwei- Stufen- Aggregates von Roht dargestellt wird, zur Verfügung stand ! 

 

 

1 atü = 0,981 bar

 

Literatur :

 

Josef Stemmer, Raketenantriebe 1952

Helmut Gröttrup, Über Raketen 1959

Hans K. Kaiser, Kleine Raketenkunde 1949

 

Dokumente : Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg RH 8 1959

 

 

 

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